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Interview zur Ausstellung «Light up»
Annette Amberg im Gespräch mit Tatjana Erpen
AA: Tatjana, in deiner bisherigen Arbeit hast du oftmals einzelne Motive, die du in unterschiedlichen Ländern aufgenommen hattest, als Serie gezeigt. In dieser Ausstellung konzentrierst du dich auf ein Land. Wie kam es zu dieser Entscheidung? Und wie verändert sich dadurch deine Arbeitsweise?
TE: Mir war es schon immer wichtig, mich in meiner Arbeit mit meiner Umwelt auseinander zu setzen – und das geschah überall, egal wo ich gerade war. Meine Beziehung zu Tansania ist aus der Arbeit meines Partners entstanden. Eher widerwillig und voller Vorurteile begleitete ich ihn 2016 auf eine Reise nach Makambako. Und weil ich seither jährlich nach Dar es Salaam fliege, entstehen meine Arbeiten aktuell im Bezug zu Tansania. Da wir dasselbe Alphabet teilen, habe ich einen niederschwelligen Zugang zur Sprache. Und ein tansanischer Bekannter hat mich überzeugt, WhatsApp auf meinem Smartphone einzurichten. Ohne App wäre die enge Verbindung nicht entstanden. Im Rahmen eines Reisestipendiums vom Aargauer Kuratorium habe ich letztes Jahr Elia Leton und Zakayo Olekampuni in die Schweiz eingeladen. Mir war wichtig, dass meine Projektpartner Einblick in meine Normalität erhalten, um einen gleichberechtigten Austausch aufzubauen. Aufgrund der Einreisebestimmungen im Zusammenhang mit Covid-19 durften die beiden bisher aber nicht einreisen – während ich als Schweizerin weiterhin jederzeit in ihr Land einreisen kann. Wir haben seither viel per WhatsApp kommuniziert. Dieser Austausch ist in meiner Arbeit zurzeit zentral und interessiert mich im Moment mehr als die zurückgezogene, in mich gekehrte Atelierarbeit.
AA: Du zeigst in der Ausstellung auch zum ersten Mal Videoarbeiten. Kannst du uns etwas über den Entstehungsprozess der Ausstellung und deine Entscheidungsfindungen erzählen?
TE: Während meines Kunststudiums habe ich bereits mit Video gearbeitet. Nach der Ausbildung hatte ich weder das Geld noch die Geduld, mich mit technischen Problemen auseinander zu setzen. Video war damals wesentlich aufwändiger und teurer als heute, und meine erste HD war fast so gross und schwer wie ein Backstein. So arbeitete ich lieber mit fotografischen Bildvorlagen, Kopien und Siebdruck. Die aktuellen Motive sind aus der Kommunikation über WhatsApp entstanden. Schon altersdemografisch besteht ein Grossteil der Bevölkerung Tansanias aus Digital Natives. Smartphones, WhatsApp und besonders Bezahlen mit dem Mobiltelefon sind dort enorm wichtig. Digitales Videomaterial war mein Ausgangspunkt, und ich wollte dieses in seiner Aktualität belassen, es nicht ins «analoge Zeitalter» zurückholen. Die Herangehensweise wie die Dinge dokumentiert werden, empfinde ich meiner vorherigen Bildsprache verwandt. Immer noch ist die Darstellung einzelner Objekte und einfacher Handlungen zentral – immer wieder erscheint die Hand, als Bezug zum Menschen.
AA: Während man beim Betreten des Ausstellungsraums auf den ersten Blick repetitiven, kontemplativen Handlungen beiwohnt, die uns etwas zeigen, ohne sich uns aufzudrängen, propagieren die Plakate und Tapeten im eingebauten Zimmer lautstark ihre Haltungen. In welcher Beziehung stehen für dich diese beiden (mentalen und bildnerischen) Räume?
TE: Im halbdunklen Aussenraum werden alltägliche Mikrogeschichten gezeigt, die sich weit weg der grossen Ereignisse abspielen: die Begegnung mit einem Krebstier, das Abgeben der Stimme bei einer Wahl, der Kürbis vom eigenen Garten, alltägliche informelle Arbeit etc. Im Innenraum trifft man hingegen auf ein konstruiertes, idealisiertes Weltbild. Fototapeten zeigen unser europäisches Ideal von Palmenstränden, auf Plakaten werden allerhand hellhäutige Ikonen dargestellt: Jean Claude van Damme, Jesus, Schauspieler und mir unbekannte Schönheiten. Es sind Plakate, denen ich in Tansania oft begegnet bin. Personen sind in Verbindung mit einem Text abgebildet. Mit einer live-Translation-App habe ich die Texte übersetzen lassen. Dabei werden die Aussagen ständig neu formuliert, der Inhalt gerät ins Wanken. Für mich ist dieser Innenraum ein Raum der Sehnsucht, der verschiedene Ideale vereint. Die konstruierten Realitäten darin machen ihn aber auch zu einem Ort der Zweifel und des Scheiterns.
AA: Deine Arbeit «Synchronicity as an idea» (2020) ist für mich eine zentrale Arbeit zum Verständnis der Ausstellung. Zwei Videosequenzen im Dialog, beide zeigen sie dieselbe Handlung aber an unterschiedlichen Orten. Inwiefern ist diese Arbeit Sinnbild für deine Auseinandersetzung mit Übersetzungsprozessen und der Ambivalenz von Bildern?
TE: Asynchronität interessiert mich, weil sie oft unsere Erklärungen in Frage stellt. Die Sonne bestimmt unseren globalen Tag/Nacht- Rhythmus. Wir reagieren darauf mit einer Weltuhr und verschiedenen Zeitzonen. Unsere Zeitrechnung ist ein Konstrukt, das nicht wirklich aufgeht, so dass alle paar Jahre ein Schaltjahr zwischengeschaltet werden muss, um diesen Fehler zu korrigieren. Unsere Messsysteme und die Sonne verlaufen asynchron. Ich finde das ein schönes Sinnbild für die Unvereinbarkeit von Wissen und Gegenwart, und den kleinen Ungereimtheiten, beim Versuch etwas in Zahlen zu erfassen. Elia und ich haben einmal recherchiert, wie es zu unserer Zeitrechnung gekommen ist und weshalb das neue Jahr eigentlich nicht an einem Tag der Sonnenwende beginnt. Wir haben erfahren, dass unser Jahr mit dem Tag von Jesus’ Beschneidung beginnt. In Tansania, das nahe am Äquator liegt, orientiert man sich an der Swahili-Zeit: sie beginnt bei Sonnenaufgang mit 1 und bei Einbruch der Nacht wieder mit 1. So gibt es die 12 hellen und die 12 dunklen Stunden. Die Ambivalenz der Bilder ist noch viel drastischer. Bilder interpretieren und verordnen wir aufgrund unserer individuellen Erfahrung und unseren daraus entstandenen Normen. Die Luftaufnahme des Einfamilienhauses, in dem ich aufgewachsen bin, habe ich einmal mit «mein Massstab» betitelt. Es ist die Visualisierung einer Lebensform, der ich selber nicht mehr entspreche – aber sie beeinflusst meine Vorstellung von Normalzustand. Ich muss davon ausgehen, dass dieses Einfamilienhaus immer noch meine Sichtweise prägt.
AA: Ist eine künstlerische Auseinandersetzung als Schweizer Künstlerin in und mit einem afrikanischen Land zwingend eine politische?
TE: Auch eine Arbeit, die nicht politisch motiviert ist, wird politisch, sobald ich sie mit nach Europa nehme. Hier wird sie mit europäischen Denkstrukturen konfrontiert – und diese wurden mit der Kolonialisierung und Aufklärung in Europa rassistisch geprägt. Ich beschäftige mich intensiv mit der Frage, wie weit ich die Interpretation eines Betrachters/einer Betrachterin mitverantworte. Mich aus Angst vor dieser Verantwortung in einem ausschliesslich weissen Kontext zu bewegen, kommt für mich jedoch nicht in Frage. «Interkontinental» zu arbeiten erfordert eine nicht wertende Haltung, diese zu entwickeln setzt Erfahrung mitsamt allen Fehlern voraus – und die Bereitschaft, daraus zu lernen. Durch meine künstlerische Praxis habe ich detailliert über Macht, Abhängigkeit und Machtmissbrauch (auch in meiner Gesellschaft) nachgedacht. Und es kommen extrem viele ungelöste Fragen auf, wenn ich mich als Weisse in Tansania bewege. Es ist herausfordernd, seinen Status zu wechseln – von meinem «prekären» Alltag in der Schweiz in eine reiche Position in Tansania, wo ich mit meinem Geld viel Einfluss habe. Ich werde mit meinen eigenen unangenehmen Konventionen konfrontiert, mit meinem Egoismus, meinem Misstrauen und meiner Korruptionsbereitschaft. Das ist viel Arbeit. Meine Aufgabe ist, mein Verhalten stets zu reflektieren, und beiden Beziehungsnetzen gegenüber integer zu bleiben – so kann ich eine politische Haltung entwickeln, die mehr beinhaltet als theoretische Ansätze. Ich hoffe, dies ist in meiner Kunst zu spüren.
AA: Es gibt einen gemeinsamen Ausstellungstitel. Wofür steht «Light up» bei dir?
TE: Die Inspiration für den Titel «Light up» kommt von einer App auf dem Mobiltelefon meines tansanischen Projektpartners. Die App korrigiert die Bilder der Kameras, die auf helle Haut normiert sind. «Light up» – das Beleuchten von Zuständen ist in meiner Arbeit zentral. «Light up» zwingt uns zur Auseinandersetzung mit festgefahrenem Wissen und Normen. Im Swahili steht «kujua» für «wissen» – der Wortstamm «jua» wiederum heisst «Sonne».
März 2021
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